Die erste Bestandsaufnahme archäologischer Funde und Befunde in der naturräumlich sehr weit gefassten südlichen Wetterau durch Georg Wolff zu Beginn des 20. Jahrhunderts war über Jahrzehnte hinweg die Basis der Beurteilung der archäologischen Situation auch im heutigen Stadtgebiet Nidderau. Ergänzt und erweitert durch Veröffentlichungen Hanauer Museumsbestände bleibt sie unentbehrlich.
Neufunde, meist bedingt durch die rege Bautätigkeit der letzten 25 Jahre, verändern und bereichern das von Wolff gezeichnete Bild erheblich.
Der Nidderauer Boden birgt noch immer bisher unbekannte Zeugnisse aus der Vorgeschichte und der Geschichte der Region. Die Altfunde der Gemarkung waren je nach Verwaltungszugehörigkeit der einzelnen Ortsteile entweder im Museum Hanau oder im Museum Friedberg verwahrt. Während die meisten Gegenstände im Museum Hanau dem zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen, blieben die Friedberger Inventare weitgehend erhalten. Einige Grabfunde aus Eichen befinden sich im Römisch Germanischen Zentralmuseum in Mainz, im Museum Gießen gelagerte Funde können mangels Inventarverzeichnis nicht mehr sicher identifiziert werden.
Nach dem Krieg geborgene und gesammelte kleinere Fundbestände gelangten erneut in das Hanauer Museum, einige befinden sich in Privatbesitz, andere wiederum erscheinen derzeit spurlos verschwunden.
Seit 1990 gibt es nun in der Stadt Nidderau eine wissenschaftlich betreute archäologische Sammlung, welche die Neufunde aus den Baugebieten aufnimmt. Die Sammlung ist auf Anfrage zugänglich. Führungen sind möglich. Darüber hinaus liefern das Städtische Museum im Hospital in Windecken sowie das Ostheimer Dorfmuseum Einblicke in die Geschichte Nidderaus.
Alt-und Mittelsteinzeit
Die lange Epoche der Alt- und Mittelsteinzeit (500.000-6.000/5.500 v.Chr.) liegt nach wie vor im Dunkeln. Mutmaßliche Quarzitartefakte, z.B. von den Nidderterrassen gegenüber Eichen, sind nicht genauer untersucht; ähnliches gilt für leider verschollene Altfunde vom Gelände der ehemaligen Ziegelei Ostheim. Lediglich ein Steingerät von einem Hang südlich des Junkerwaldes kann etwas genauer in die mittlere Altsteinzeit um 100.000 v.Chr. datiert werden.
Jungsteinzeit
Erst lange nach der Eiszeit beginnt mit der Jungsteinzeit (5.500 – 2.200 v.Chr.) eine flächige Besiedlung der Region. Es entstehen Dorfanlagen mit festen Häusern und die heutige Landwirtschaft nimmt mit Viehzucht und dem Anbau von Kulturpflanzen ihren Anfang. Aus dem Alltag jener Zeit sind vor allem Tongefäße und Steingeräte, dabei geschliffenes Werkzeug durch Ausgrabungen gesichert. Durch Oberflächenfunde sind zahlreiche jungsteinzeitliche Siedlungen aus den Gemarkungen der Ortsteile Erbstadt, Heldenbergen, Ostheim und Windecken bekannt.
Zu den ältesten dieser Stationen zählt eine Fundstelle westlich von Ostheim, deren archäologische Untersuchung durch Bauarbeiten notwendig wurde. Zwei Grabungskampagnen (1995 und 1997) erbrachten nicht nur zahlreiche Fundgegenstände der sog. Ältesten Bandkeramik, dabei ein Idol eines Frauenköpfchens, sie erlaubten auch die Beobachtung und Dokumentation von vier Hausgrundrissen mit Pfostenstellungen und Wandgräbchen, überschnitten von Gruben jüngerer Kulturen.
Die archäologische Untersuchung des Baugebietes Allee Süd I, Windecken, lieferte eine Fülle bandkeramischer Funde einer jüngeren Phase, jedoch keine Hausgrundrisse, sondern Strukturen bisher kaum bekannter Art. Im Baugebiet Am Lindenbäumchen, Heldenbergen, fanden sich weitflächig verteilt Gruben, Hausgrundrisse und Kreisgräben dieser jüngeren Bandkeramik.
Gleichfalls Am Lindenbäumchen wurde im Frühjahr 2000 eine Station der jungsteinzeitlichen Rössener Kultur entdeckt und untersucht. Es ist die erste Fundstelle dieser Kultur im unteren Niddertal, die ausgegraben werden konnte.
Auch Wolff meldete Grabfunde vom Beginn der Jungsteinzeit. Diese Wetterauer Brandgräber erwiesen sich ausnahmslos als Fälschungen.
In den Neubaugebieten Schlosspark II, Beethovenallee und um das neue Rathaus, Heldenbergen, kamen von 1989 bis 1995 erstmals in der Region Befunde und Fundgut der seltenen Bischheimer Gruppe und der sog. Michelsberger Kultur (4.200 – 3.200 v.Chr.) zu Tage. Eine aufwändige Grabanlage von Allee Süd I gehört in die noch kaum bekannte Frühphase der Michelsberger Kultur und weist westeuropäische Einflüsse auf. Auch das Grab eines etwa 14-jährigen Jungen aus der spätkupferzeitlichen Glockenbecherkultur (um 2.400 v.Chr.) von Allee Süd I ist noch eine Einzelerscheinung im westlichen Main-Kinzig-Kreis.
Bronzezeit
Aus der mittleren Bronzezeit (1.700 – 1.200 v.Chr.) ist vor allem eine große Siedlung unter dem Neubaugebiet Schlosspark I, Heldenbergen, mit Töpferofen zu nennen. Hinweise auf solche Ofenanlagen gibt es auch am Lindenbäumchen.
Steinkistengräber gehören im Untermaingebiet zu den typischen Grabformen der Spätbronzezeit (1.200 – 750 v.Chr.). Ein solches Grab mit reichhaltigem Inventar wurde bereits 1873 im Heldenberger Gewann Gänshohl ausgeräumt, weitere 1905 in der Nähe des heutigen Seniorenheims. Letztere können zu einer Siedlung gehören, die unter dem Arkadenhof und dem neuen Rathaus lag. Neben Scherben feinster Gefäße fanden sich eine Bronzenadel, eine Lanzenspitze aus Bronze und Werkzeug aus Hirschhorn und Knochen, sowie Hinweise auf eine Töpferwerkstatt.
Eisenzeit
Eine frühkeltische Siedlung der sog. Hallstattkultur (750 – 500 v.Chr.) erstreckt sich vom neuen Rathaus nach Norden wohl bis zur Bertha-von-Suttner-Schule. Siedlungen aus dieser Zeit sind auch von Allee Süd I und bei Erbstadt bekannt. Grabhügel in den Wäldern zwischen Eichen, Ostheim und Windecken, meist um 1900 bereits angegraben, enthielten zahlreiche Bestattungen jener Epoche. An der Bahnlinie Windecken-Büdesheim und nördlich davon (Ferngasleitung 1981, Allee Süd II und III) und unter der Römerstation Heldenbergen (Grabungen 1998) weisen Grabfunde darauf hin, dass hier durch Ackerbau oder Überbauung Grabhügel zerstört wurden. Meist handelt es sich um Brandgräber in Urnen mit Keramikbeigaben, Schwertern und Messern aus Eisen, Arm- und Beinschmuck, Fibeln und Toilettgerät aus Bronze sowie einzelne Bernsteinperlen.
Keltische Siedlungen (ab 500 v.Chr. bis zur Römerzeit) sind schwer zu fassen, Altfunde kaum überprüfbar. Siedlungsgruben oder Oberflächenfunde sind von Allee Süd I, von Am Lindenbäumchen, aus der Straubelgasse in Heldenbergen, aus Ostheim und von der Hohen Straße am Wartbaum bekannt. Besser überliefert sind Beigaben aus keltischen Gräbern mit Hals-, Arm- und Beinschmuck, Kettchen und Gürtelkettchen sowie Fibeln, meist aus Bronze, aus Heldenbergen und Ostheim. Der neuere Fund eines reich ausgestatteten Grabes von Allee Süd I wartet in den Werkstätten des Landesamtes für Archäologische und Paläontologische Denkmalpflege in Wiesbaden noch auf seine Restaurierung.
Römische Kaiserzeit
Ab der Zeitenwende beginnt die römische Okkupation die spätkeltische/frühgermanische Besiedlung zu überlagern. Bekannt sind hier die Erdlager und die Zivilsiedlung Heldenbergen. Die Veröffentlichung der Ausgrabungen 1973 – 1979 ist in der Stadtbücherei zugänglich. Eine Eiluntersuchung von 1997/98 war Thema einer Magisterarbeit und soll mit den frühkeltischen Gräbern zusammen veröffentlicht werden. Die römische Zivilsiedlung, die länger als das Kastell Bestand hatte wurde vor der Mitte des 3. Jahrhunderts zerstört.
Römische Gutshöfe (villae rusticae) sind aus allen Ortsteilen bekannt, wobei erst in jüngster Zeit durch die Aufmerksamkeit eines Landwirtes in Erbstadt ein großes römisches Landgut entdeckt wurde.
Neue Funde legen nahe, dass sogar ein Teilstück des Limes durch Nidderau führte. In der Windecker Eugen-Kaiser-Straße kam bei Bauarbeiten ein Spitzgrabenprofil zu Tage. Bei einer archäologischen Voruntersuchung in Hanau-Mittelbuchen wurden wenige Wochen zuvor zwei kleine römische Erdlager entdeckt, begleitet von einem geradlinig verlaufenden Spitzgraben, der sich von Südsüdost nach Nordnordwest hinzog. Der Ausgräber mutmaßte, dass es sich um einen bereits von Georg Wolff postulierten früheren engeren Limesverlauf handeln könnte. Der Windecker Spitzgraben befindet sich nun direkt in der Flucht des Mittelbucher Spitzgrabenverlaufs und kann die dortigen Beobachtungen durchaus ergänzen. Beide Befunde zusammen bestätigten einen frühen Limesverlauf von Seligenstadt über Hainstadt und Hanau, der bis Oberflorstadt reichen würde. Damit wären auch die bekannten Erdlager von Nidderau-Heldenbergen als Limesbefestigungen erklärbar. Dieser frühe Limes verliefe relativ geradlinig in Nord-Süd-Richtung von Inheiden bis Heldenbergen.it